Das richtige Maß

Zur Herrenlinie des Luxuslabels The Row

All images Courtesy of The Row

Text Trisha BALSTER

Die Mode ist vom Überfluss geprägt — auch deshalb haben sich Ashley Olsen und Mary-Kate Olsen dazu entschieden, bei der neuen Herrenlinie des Luxuslabels The Row vor allem das Wesentliche in den Mittelpunkt zu stellen. Ihre Idee von Zukunft ist die Zuwendung zur Perfektion. Ein Konzept, das funktioniert.

Die Idee, aus der 2005 The Row entstand, klingt eigentlich ganz simpel: Das perfekte weiße T-Shirt zu designen. Fast schon zu simpel, denn kaum etwas wurde in der Mode so oft gezeigt und gesampelt wie weiße T-Shirts. Doch aus genau dieser Crux entwickelte sich schnell das Credo des Labels: Ashley Olsen und Mary-Kate Olsen, die Gründerinnen der Luxusmarke, übersetzen alltägliche Kleidungsstücke in besondere Produkte. Ihnen geht es um die Qualität, die hinter Konzeption und Herstellung eines solchen T-Shirts steckt, nicht die Quantität, in der dieses schließlich auf den Markt gespült wird. Ein ziemlich bemerkenswerter Ansatz, weil er sich ganz selbstbewusst gegen zwei der präsentesten Entwicklungen in der Branche stellt: immer mehr und immer schneller zu produzieren. Die Zwillinge aber nahmen sich eineinhalb Jahre Zeit, um ihre so vermeintlich simple Idee in die Realität zu übertragen. 2006 wurde dann die erste, nur siebenteilige Damenkollektion unter dem Namen The Row veröffentlicht — natürlich samt des T-Shirts. Name und Leitmotiv des Labels sind an die Londoner Savile Row angelehnt, wo sich ein Herren Maßschneider neben den anderen reiht. Hier lernte Alexander McQueen sein Handwerk, Prince Charles ist bis heute Stammkunde. Es regiert die Hinwendung zu Handwerk und zum Detail. Nur logisch also, dass dem eigenen Sortiment nun auch Entwürfe für Männer hinzugefügt wurden — logisch aber auch, dass sich die Perfektionistinnen bis zum vergangenen Jahr Zeit ließen, um eine erste, vollständige Kollektion zu konzipieren. Denn die Herrenmode war in den vergangenen Jahren nicht weniger aufgewühlt als das Pendant für Damen, bestimmt von rasanten Designerwechseln, die meist auch eine rasante Änderung der Markenidentität mitbrachten. Der entschleunigte Ansatz von The Row ist auch im Kontext der Männermode eine Art Insel zwischen den sich überschlagenden textilen Strömungen rund um Streetwear, Tailoring, Prints, Logos und Luxus — wo Navigation oft nur schwer möglich scheint. The Rows neue Herrenlinie dagegen funktioniert als eine Art Kompass im Spannungsfeld zwischen Schneiderkunst und sportlicher Attitude.

 

FOKUS AUF DAS ESSENZIELLE

 

Die gleiche Aufmerksamkeit wie den Damenlinien wurde den Herrenkollektionen nicht nur bei The Row erst jetzt zuteil. Lange spielte Männermode eine eher untergeordnete Rolle, große Kreativität und ausufernde Show-Konzeptionen wurden während der Schauen für Damen demonstriert. Erst in den vergangenen Jahren eroberten sich Herrenkollektionen und Fashion Weeks ihren festen Platz auf der Agenda der Branche. Dabei dominierte erst das Spiel mit den Geschlechtern, dann mit den Gesetzen der Straße: Maskulinität wurde in Frage gestellt, ebenso, was Luxusmode für Männer heißt. Der Ire Jonathan Anderson galt vor sechs Jahren mit seinen femininen Designs für Männer als Vorreiter des »gender bending«. Anfang 2016 schlug Virgil Abloh mit seinem Label Off-White die entgegengesetzte Richtung ein, zeigte übergroße Hoodies und weite, fast ausgebeulte Hosen. Von der US-amerikanischen Vogue wurde er für seine erste Kollektion 2014 als »Botschafter der Jugendkultur« gefeiert. Seitdem haben auch etablierte Modehäuser wie Fendi Streetwear-Elemente rund um Jogginghosen, Sneakers und Bauchtaschen ins Sortiment aufgenommen — vor allem, um die junge, zunehmend kaufkräftige Kundschaft zu begeistern. Abloh selbst ist mittlerweile Kreativdirektor der Herrenlinie von Louis Vuitton, zeigt dort Bomberjacken und Basketballshorts, Logos und demonstrative Lässigkeit. Im September gab er bekannt, sich eine Auszeit zu nehmen — auch Abloh, der als Inbegriff des hyperkreativen Multitaskers galt, wurde das hyperkreative Multitasken irgendwann zu viel. Anzüge, als etablierte Eckpfeiler der Herrenmode, wurden gemeinsam mit der Branche in eine Art Identitätskrise katapultiert — bei JW Anderson bekamen sie Schößchen, bei Abloh wurden sie aufgeblasen und voluminös. Zeitweilig machten ihnen Tracksuits gänzlich den Rang streitig. Irgendwo zwischen diesen Polen drehte und dreht sich also die Trend Nadel der Branche. Eine Art Céline für Herren, bewusst leise, und dennoch nicht langweilig, suchte man vergeblich. The Rows neue Herrenlinie wendet sich jetzt, ganz getreu dem Ursprung des Namens, in genau dieser unaufgeregten Manier den Klassikern der Männergarderobe zu. Kann man die Marketing-Strategien vieler Labels heute vor allem als lautes Buhlen um Aufmerksamkeit verstehen, ist The Row das in sich ruhende, aber nicht weniger selbstsichere Gegenstück. Losgelöst vom gehetzten Puls der Zeit ist das Verständnis des Labels von Fortschritt der Schritt zur Perfektion, der Fokus auf das Essenzielle.

DER ANZUG ALS AUSGANGSPUNKT

»Wir mögen die Mentalität der Männergarderobe«, sagten Ashley Olsen und Mary-Kate Olsen 2014 in einem Interview mit dem Wall Street Journal, »Es geht darum, nur ein paar besondere Stücke zu besitzen, die man aber immer anziehen und erweitern kann.« Durch die Damenkollektionen der Designerinnen zogen sich von Beginn an maskuline Elemente wie gerade Silhouetten oder kantige Schultern — mit ihrer Herrenlinie knüpfen sie nun an diese ersten Vorstöße an. Das Pendant zum weißen T-Shirt wurde der Anzug. Ebenso klassisch, ebenso etabliert, und gleichzeitig ebenso schwer zu perfektionieren. Eine willkommene Herausforderung für die Unternehmerinnen also. »Wir haben ein Jahr damit verbracht, den Sitz des Anzugs auszuknobeln«, sagten sie zu ihrer neuen Kollektion. Insgesamt nahmen sie sich zwei Jahre für die Recherche. Im Sommer 2018 wurde die Herbst/Winter 2018 Kollektion dann bekanntgegeben, im Oktober hingen die Stücke in den Läden. Der erste Vorstoß in die Herrenbekleidung ist diese Erweiterung des Sortiments für The Row aber nicht: Bereits 2009 wurden kurzzeitig Teile für Männer verkauft, sechs Jahre später folgte eine weitere Capsule Collection. Es waren vor allem die begeisterten Kunden, und teilweise auch Kundinnen, die den entscheidenden Anstoß gaben — weil sie Ashley Olsen und Mary-Kate Olsen immer wieder auf diese ersten Entwürfe ansprachen. Wie auch bei ihrer Damenlinie ging es den Zwillingen primär um die Konzeption der perfekten Garderobe — diesen Grundgedanken übersetzten sie mit wenigen, aber penibel gesetzten Schnitten in ein Ensemble, das sich durch gerade Silhouetten und überlegte Akzentuierungen auszeichnet. In der aktuellen Herbst/ Winter 2019 Kollektion finden sich sowohl einreihige Anzugjacken und schmale Hosen als auch gestreifte Hemden und Mäntel mit markanten Schultern. Die Bilder zur Kollektion zeugen ebenso von dieser Idee des Minimalismus — entgegen der Tendenz vieler Modelabels, die eigene visuelle Sprache mit möglichst viel von allem aufzuladen, werden die Models bei The Row in schwarz-weiß und auffallend unauffällig inszeniert. Charaktere jeglicher Altersgruppen hängen in der Nachmittagssonne in einem Apartment ab, es wird kaum posiert, eher gespielt mit Licht und Schatten, Kleidung und den Emotionen, die damit ja auch immer irgendwie verwoben sind. Selten wirkt bei The Row etwas unausgeglichen, stürmisch, oder ohne Sinn und Zweck. Jede Tasche, jeder Knopf sitzt aus einem ganz bestimmten Grund an Ort und Stelle. Dass diese Ruhe nicht in Langeweile umschlägt, verdankt das Label der absoluten Selbstsicherheit, mit der die Designerinnen nicht nur die Kollektionen, sondern auch den Kern der Marke konstruiert haben. Dabei sind die Designs so still und bestechend wie ihre Kreateurinnen selbst.

AUS »GIRLS« WERDEN »WOMEN«

Nicht umsonst haben sich die Zwillinge bei der Gründung ihres Labels bewusst in den Hintergrund gestellt. Jahrelang gaben sie keine Interviews zu The Row, statteten ihre Produkte lediglich mit goldenen oder silbernen Metallplatten als Labels aus. In erster Linie sollten die Kollektionen überzeugen, und nicht aufgrund der Bekanntheit ihrer Designerinnen gekauft werden — oder genau wegen dieser eben nicht. Im Gegensatz zu vielen anderen Prominenten, die vor allem den eigenen Namen als Verkaufsargument für Kleidung oder andere Produktlinien nutzen, verzichteten sie ganz bewusst auf diese Vorteilsstellung. Denn ihr Image vereinte vieles, das The Row eben nicht repräsentieren sollte. Lange assoziierte man die Olsens eher mit »Full House« als High Fashion. Noch vor ihrem ersten Geburtstag gaben sie ihr Schauspieldebut in der TV-Serie, standen vor allem für lustige Sprüche, seichte Teenager-Komödien, und ein Sammelsurium an Merchandising Produkten, das weltweit verkauft wurde. 2014 versuchten sie sich schon einmal als Designerinnen und designten für den US-amerikanischen Supermarktriesen Walmart eine Kollektion. Der Slogan: »Real Fashion for Real Girls«. Aus diesen »girls« wurden schließlich »women«. Bei der Gründung von The Row waren Mary-Kate und Ashley zwar noch nicht einmal 20, trotzdem gehört ihnen das Label mittlerweile zu 100 Prozent selbst. Ein cleverer Schachzug, gehen doch viele Designer erst mal Deals mit großen Luxuskonzernen oder Investoren ein. Mary-Kate und Ashley aber agierten von Beginn an in ihrem eigenen Tempo — was sie nach und nach auch die notorisch kritische Modebranche überzeugen ließ.

EIN PREISGEKRÖNTES KONZEPT

Bevor The Row im Februar 2010 zum ersten Mal auf der New York Fashion Week zeigte, setzten die Designerinnen einige Saisons auf die Präsentation in Showrooms, um JournalistInnen und vor allem EinkäuferInnen die Designs ganz genau erklären zu können. Der Fokus auf Handwerk und Qualität schlug an und die kühle Zurückhaltung der ehemaligen Starlets traf den richtigen Ton. Kurze Zeit später gewann The Row 2012 zum ersten Mal den »Womenswear Designer of the Year Award«, einen der wichtigsten amerikanischen Modepreise, vergeben vom Council of Fashion Designers of America (CFDA). Eine Auszeichnung, die in der Branche einem Ritterschlag gleicht — im Jahr zuvor ging sie an Lazaro Hernandez und Jack McCollough von Proenza Schouler, 2010 an Marc Jacobs. Damit waren Ashley Olsen und Mary-Kate Olsen endgültig in den obersten Sphären der Mode angekommen. Insgesamt weitere vier Mal konnten sich die Designerinnen in den folgenden Jahren bei den CFDA Fashion Awards gegen die Konkurrenz durchsetzen — unter anderem in diesem Jahr in der Kategorie Accessoires. Dabei ist nicht nur die Kreativität, sondern der gesamte Kosmos von The Row mittlerweile preisgekrönt. Als 2014 der erste Laden in Los Angeles eröffnete, wurde auch die Architekturszene hellhörig. Am Melrose Place gelegen und von Montalba Architects realisiert, sollte die Fläche eine Wohnzimmeratmosphäre vermitteln, gespickt mit Kunst und kleineren Design Objekten — und wurde für ihr cleanes Design zwei Jahre später vom Chicago Athenaeum mit einem American Architecture Award ausgezeichnet. Auch der Instagram Account des Labels zeugt von dieser stilsicheren Kuration. Er ist weniger Werbefläche, vielmehr Inspirationsboard. Zeichnungen von Francis Bacon reihen sich neben Aufnahmen von Interieur-Klassikern, wie dem Schachbrett von Jean-Michel Frank und Man Ray. Dazwischen: Immer mal wieder Bilder von Kleidung, eher versteckt als vordergründig. Ein Ansatz, der vor allem zeigt, wie gut Ashley Olsen und Mary-Kate Olsen verstanden haben, was es bedeutet, ein Lebensgefühl in Textilien, und Textilien in Bilder zu übersetzen. Oder, wie die Zwillinge es 2014 dem Wall Street Journal sagten, als dieses über den so überraschenden Erfolg des Labels schrieb: »Unser Ansatz war schon immer: Wenn es ein gutes Produkt ist, wird es sich auch ohne Label oder Logo oder bekanntes Gesicht verkaufen — und das hat geklappt.«